Ich kehrte zurück

Text und Fotos: Berit Ichite

Gestern abend schnappte ich mir meinen roten Kalender und blätterte mein Jahr durch. Woche für Woche zog an mir vorüber und innere Bilder tauchten auf. Von den Familien und den Reden, die ich hielt. Es waren schöne Hochzeiten und Trauerfeiern, die ich halten durfte. Natürlich gab es dazwischen jede Menge privater Momente, wie das Pilgern im Mai auf dem Jakobsweg in Sachsen-Anhalt oder das tolle Udo Lindenberg Konzerterlebnis, dass ich mit so vielen Menschen (durch die großzügige Geste) teilen durfte. Unglaublich, wie schnell die Monate vergingen. In zwei Wochen feiern wir Weihnachten, das Fest der Ankunft.

Heute war für einen Mann bereits Weihnachten: für Martin Winz, den Schäfer, den Ricarda und ich im vergangenen Oktober porträtierten.
Zum zweiten Mal durfte ich ihn bei der Heimkehr seiner Schafe begleiten und so waren wir heute, am dritten Advent, ein eingespieltes Team: Andreas K. aus Berlin, dessen Mutter ich vor mehreren Jahren beerdigte, der Schäfer und ich.

Es war dunkel und es nieselte, als wir uns morgens um sieben Uhr am Gut trafen. Und es war dunkel als wir zum Lageplatz der Schafe fuhren. Doch Petrus, der selbst einmal Schäfer war, wie Winz uns aufklärte, meinte es gut mit uns. Der Regen hörte auf und wir liefen los. Durch morgendliche Dörfer und verlassene Straßen. Wir überquerten (wie vergangenes Jahr) die leere Bundesstraße und genossen den Wind, der uns von hinten anzuschieben schien. Welche Wörter flüsterte er uns zu?

War es nicht ein windiges Jahr, welches uns da mehr als einmal durch die Glieder fuhr und uns ordentlich durchrüttelte?
Wenn ich zurück blicke auf dieses Jahr, dann war es in mancher Hinsicht eine Herausforderung. Ich habe viele junge Menschen beigesetzt. Manche Familien waren sehr offen und ehrlich, ja fast erleichtert, darüber sprechen zu können, was sie bewegte. „Es war der Stress, er hat sich zu Tode gearbeitet, er konnte nicht „Nein“ sagen“, diese Worte habe ich mehrmals gehört. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen konnten wir zusammen mit den Angehörigen schöne Feiern gestalten. Es hat uns gefreut, dass viele Abschied nehmen wollten. Immer mehr Menschen nehmen auch individuelle Angebote wahr, wie die Urne (mit Hilfe der Keramikerin Claudia Klinkert) selbst zu gestalten. Und Mandy Rupprecht ist eine Blumenfrau, die viele neue Wege bei der Gestaltung des Blumenschmuckes geht.
Besonders gefreut haben mich zudem zwei Dinge: dass Ricarda hier und da Trauerfeiern fotografieren durfte und somit tröstende und bleibende Erinnerungen für die Hinterbliebenen schuf. Und zweitens: dass wir es mit der Initiative „Lebensende leben“ geschafft haben, ein erstes Symposium zu den Themen Sterben und Tod im Stadthaus zu organisieren.
Manchmal tut es also gut, den Kalender heraus zu holen, inne zu halten, zu blättern und sich ruhig mal auf die Schulter zu klopfen. Sich selbst zu würdigen und zu danken für das, was man geleistet und bewegt hat.

Nach vier Stunden kamen heute die Schafe, ihr Schäfer, Andreas und ich auf dem Hof des Landgutes Krosigk an. Da brach der Himmel auf und die runde, goldene Sonne kam für einen Moment hervor. Tief bewegt standen der Schäfer und wir vor dem Stall und sahen zu, wie die trächtigen Mutterschafe ihr Winterquartier bezogen. „Das ist mein Weihnachten“, sagte Martin Winz.

Anschließend saßen wir bei Kaffee, Würstchen und Plätzchen zusammen. Mit roten Bäckchen, ein bisschen knülle und sehr erfüllt. Alles ist gut.

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