In der Hermannstrasse

„Wer will fleißige Handwerker seh’n?“… der kann in die Hermannstraße, unweit des Botanischen Gartens in Halle (Saale) „geh’n’“.
Denn hier befindet sich nicht nur der Handwerkerhof der städtischen Wohnungsgesellschaft HWG, sondern auch die Werkstatt des Restaurators für das Tischlerhandwerk Alexander Eschke.

Früh wusste Alexander, dass er Tischler werden will. „Es war einfach so“, sagt er. Hauptsächlich aufgewachsen in der halleschen Neubausiedlung Silberhöhe, die in den 80er Jahren im Süden der Stadt entstand, bastelte Alexander schon als Kind viel. Mit seinem Modellbaukasten baute er unter anderem russische Raketen nach. Die Mutter war Erzieherin, der Vater diente dem Ministerium für Staatssicherheit. Die Familie besaß einen Garten, auch hier werkelte Alexander. Am liebsten kleine Boote aus Holz. Die politische Wende fiel für Alexander genau in die Zeit, in der er eine Lehre suchte.
Die Zeit war auch für ihn turbulent und er war froh „überhaupt was gekriegt zu haben“. Die Eltern wohnten da bereits im eigenem Haus auf einem Dorf, außerhalb von Halle. Zum Betrieb oder in die Berufsschule musste Alexander jeden Tag mit dem Fahrrad oder Moped fahren. In der Lehre lernte Alexander nach eigener Aussage „nichts“. Das einzige Möbelstück, dass er baute, war sein Gesellenstück: eine Anrichte im Stil der dreißiger Jahre mit Furnier.
Was er machte, war Parkett schleifen sowie Fenster und Türen aus- und einbauen – Fähigkeiten, die nach der Wende plötzlich sehr gefragt waren. So arbeitete er zunächst einige Jahre als Parkettleger, eine körperlich schwere Arbeit. Zwischendurch leistete er seinen Zivildienst als Sozialer Begleiter im Berufsförderungswerk für Sehbehinderte und Blinde. Die Tätigkeit gefiel ihm, daher verlängerte er auf fast zwei Jahre.

Alexander ist ein ruhiger Typ. Er wirkt wie jemand, der in sich ruht und ausgeglichen ist.
Als er vor einigen Jahren in die Hermannstraße zog, freute ich mich, dass in die leerstehende Werkstatt wieder neues Leben kam. Als ich die Namenszusatzschilder für die Hermannstraße anregte (ein stadtbekanntes Projekt der Bürgerstiftung Halle), sprach ich Alexander an und er willigte sofort ein, ein Straßenschild zu finanzieren. Seitdem sehen wir uns ab und zu. Dazu klopfe ich an seine antiken Glasscheiben und wenn er Zeit hat, halten wir ein kurzes Schwätzchen. Ich mag seine Werkstatt, in der es nach Holz und Leim riecht. Überall finden sich kleine Andenken und alte Bilder, die die Wände schmücken. Auch ein Kalender mit Fotos seiner Kinder hängt über der Hobelbank.

Im vergangenen Jahr durchlebte Alexander privat eine schwierige Zeit. Manchmal gingen wir unter Mittag an der Saale spazieren oder wir saßen im Botanischen Garten. Wir redeten darüber, was uns bewegte und genossen unsere Freiheit, die uns das Leben als Selbstständige bietet. Manchmal ist es schön, sich mit anderen Freiberuflern und Selbstständigen auszutauschen, treiben uns doch dieselben Themen um. Bürokratie, neue Auflagen und Vorschriften, die Auftragslage, die Steuern, Differenzen mit Kunden und der Datenschutz mit all seinen vorhandenen Wirrungen. Auch das Thema Rente geht vielen Selbstständigen nahe. „Das bedingungslose Grundeinkommen wäre schön“, so Alexanders Meinung. Diese teilen viele Freiberufler, Künstler und Selbstständige.

„Das Handwerk hat es schwer“, sagt Alexander, auch wenn viele Firmen derzeit volle Auftragsbücher haben. Als Möbelrestaurator stünde er jedoch am Ende einer langen Kette von Handwerkern. Viele Menschen sind interessiert daran, ihre alten Sachen reparieren zu lassen, doch nicht alle bereit, den dafür angemessenen Preis zu bezahlen.

Anfang vierzig ist Alexander jetzt. Manchmal hadert auch er mit seiner Selbständigkeit, wobei die Vorteile für ihn überwiegen.
Alexander verfügt über eine langjährige Berufserfahrung. Nach dem Zivildienst ging er zunächst zu „Rofupa“. Danach arbeitete er in Peißen als Möbeltischler und merkte, dass ihn das „sehr interessierte“. Neben seiner Arbeit bildete er sich weiter und machte eine Ausbildung als Fachhandwerker für Denkmalpflege im Tischlerhandwerk. Dafür fuhr er jeden Monat für mehrere Tage in die Nähe von Grimma.
Das Ziel seines Vorgesetzten bei der Arbeit war, die Möbel mit wenig Aufwand aufzuhübschen. Qualität spielte kaum oder keine Rolle. Alexander lernte nach eigener Aussage viel in dieser Zeit, Gehalt bekam er wenig.
Die Arbeit für den Händler unterschied sich grundlegend von der, die Alexander heute macht und irgendwann „ließ sich das mit meiner inneren Einstellung nicht mehr überein bringen“. 2009 ging Alexander in die Selbstständigkeit, seit Dezember desselben Jahres arbeitet er in der Hermannstraße.

Unter der Woche steht Alexander dreiviertel sechs auf. Dann bereitet er die „Schnittchen“ für seine Familie zu. Gegen halb acht ist Alexander in der Werkstatt und arbeitet dann an dem, „was anliegt“. Oft kommen Menschen vorbei, zeigen ihm Fotos alter Möbel und bitten um seine Meinung nach dem Wert oder fragen, was eine Restaurierung kosten würde. Auch am Tag unseres Gespräches ist das so.

Ungefähr drei oder vier klassische Möbelrestauratoren gibt es in Halle (Saale). Die Auflagen sind streng und auch Alexander geriet zunächst (wie mancher Händler) in einen Clinch mit der Handwerkskammer. Nur durch einen Rechtsstreit erzwang er eine Ausnahmegenehmigung. Doch auch er musste die Auflagen erfüllen und einen weiteren Abschluss nachweisen.
Alexander entschloss sich, den Restaurator im Tischlerhandwerk zu erlernen. Zwei Jahre lang musste er dafür jedes Wochenende nach Berlin fahren, eine unglaubliche Belastung für die Familie. Seine Frau, die unter der Woche als Zahnarzthelferin teilweise im Schichtdienst arbeitet, konnte nicht mit der üblichen Unterstützung ihres Mannes rechnen. Hinzu kam die zusätzliche finanzielle Belastung, die Ausbildung war teuer. Das Auf und Ab in der Beziehung wurde immer schlimmer. Irgendwann wurde der Druck zu groß, Alexander zog aus. Inzwischen sind die Wolken am Horizont vorüber gezogen. „Wir sind reifer und erwachsener geworden“, sagt Alexander, der seit Ostern diesen Jahres wieder in der gemeinsamen Wohnung wohnt.

Die Wochenenden werden nun nicht mehr so vollgepackt. „Einfach ruhiger“ leben sie jetzt, eine Einstellung, die der ganzen Familie „gut tut“. Seine Frau stehe hinter ihm, eine Sache, die vielen Selbstständigen wichtig ist. Denn bei aller Freiheit und Selbsteinteilung gibt es wie bei allen Dingen im Leben auch schwierige Seiten. Dazu zählt, dass es auch abends viel Arbeit gibt. Denn dann heißt es: Papierkram abarbeiten, Angebote schreiben, die Steuer erledigen und die nächsten Projekte planen.
Mit Möbeln und Antiquitäten handelt Alexander nicht. Liebevoll, aufwändig und mit seiner langjährigen Expertise behandelt er alte Küchenschränke, Klaviere, Tische, Stühle und manchmal auch Kurioses, wie den alten Mühleautomat, ein Liebhaberstück, welcher lange in einer Kneipe stand.
Was er am liebsten restauriert, frage ich ihn an diesem Montag Morgen in seiner Werkstatt. „So etwas wie einen Biedermeier-Sekretär“, antwortet er. Umweltschutz und Restaurierung seien dabei nicht immer einfach umzusetzen, erklärt er. Doch ansonsten nehme er viele historische Materialien. Sagt‘s und zeigt mir verschiedene Leime, wie den Schellack, ein Material bestehend aus dem Kokon einer indischen Blattlaus, Knochenleim, Hasen- und Fischleim. Letzterer sei „der beste Leim“, klärt mich Alexander auf.

Manchmal, wenn ich Alexander besuche, ist er nicht allein. Dann ist vielleicht ein junger Mann da, wie an diesem Montag. Es sind Menschen, die es nicht einfach in ihrem bisherigen Leben hatten, einen Bruch in ihrer Biografie erlebten oder Schwierigkeiten beim Start in ihr eigenes Leben haben, zum Beispiel durch ein kompliziertes Elternhaus. Diese Menschen übernehmen bei Alexander kleine Hilfsarbeiten und bekommen einen Einblick in das Tischlerhandwerk. So „schnuppern sie rein“ und können für sich herausfinden, ob eine Ausbildung im Tischlerhandwerk vielleicht eine Möglichkeit für sie wäre. Eine finanzielle Entschädigung bekommt Alexander dafür nicht. Er macht das, weil er einen Beitrag für das Wohl unserer Gesellschaft leisten will.
Auch junge Flüchtlinge, aus Afghanistan, Syrien und dem Iran, waren schon in seiner Werkstatt. Von manchen hat Alexander die persönliche Geschichte gehört und von ihrem Schicksal erfahren. Erfahrungen, die ihn bewegen.

Was wünscht er sich für seine Zukunft, außer dem bedingungslosem Grundeinkommen? „Dass ich das noch lange machen kann“, sagt er. Alte Möbel sorgfältig wieder herrichten, damit sich seine Kunden wieder an ihren Stücken erfreuen können.
Und sonst? „Den Motorradführerschein will ich machen und noch besser Gitarre spielen“. Und wer sich jetzt wundert, dem sei erzählt, dass sich Alexander ab und zu zwei Dinge gönnt: Morgens lässt er manchmal noch für ein paar Minuten die Rollos unten, um die Stille in der Werkstatt genießen zu können. Und manchmal holt er seine Gitarre hervor und spielt ein paar Minuten darauf. Und wer dann zufällig in der Nähe ist und die Ohren spitzt, der kann es vielleicht sogar hören.

Ricarda und ich danken Alexander für seine Zeit, für seine Offenheit und die stillen, witzigen Kommentare. Wir wünschen ihm alles Gute, beruflich und privat.

(Text: Berit Ichite, Fotos: Ricarda Braun)

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